Reflexionen.
Petra Giloy-Hirtz
Der Pavillon im Garten des Klosters Beuerberg umfängt den Besuchenden wie ein heiliger Raum. Neuerbaut inmitten des Ensembles der Klostergebäude und der Kirche mutet er an wie eine Kapelle, sakral in seiner schlichten Modernität, der schwarzen Farbe und den wechselnden Einfällen des Lichts von allen Seiten. Ein Raum der Stille. Künstlerinnen geben ihm nun schon zum dritten Mal ihren je eigenen Klang, Farbe, Licht und Rhythmus, und so fallen zeitgenössische Installation und „Schrein“ kongenial in eins.
Wir betreten den Raum erfüllt noch vom Gespräch im Refektorium über weibliche Spiritualität und Lebensformen, über den religiösen Alltag der monastischen Gemeinschaft, deren kultische Verrichtungen, über Wertesystem und Handlungsethik und die ästhetische Sinngebung ihrer vita communis. Welch Faszinosum, all die Zeugnisse jener weiblichen Religiosen eines kontemplativen und aktiven Lebens, esoterisch, hermetisch, exklusiv und zugleich von einer offenen äußeren Sozialform. Das Kloster als Ort religiösen Denkens und religiöser Praxis: Es ist ein Ort, an dem es Kunst gibt, weil es „das andere“ gibt. (1) Ein Setzen auf Transzendenz. (2) Jene Geistigkeit und Magie des Ortes, den ungewöhnliche Frauen in ungewöhnlicher Weise geschaffen und belebt haben, sind auch nach dem Auszug der Salesianerinnen geblieben. Sie haben Einfluss auf die eigene Wahrnehmung und wecken eine Sensibilität, die nicht nur mit den Augen sehen, sondern mit dem ganzen Körper spüren lässt. So wird der Gartenpavillon Raum des beschützenden Friedens, ein Ort, der das Gespräch mit sich selbst und mit dem anderen initiiert und beflügelt.
Die Arbeiten von Gabriela von Habsburg, die gerade die „Werkstatt“, das Atelier, verlassen haben, entfalten hier eine spezielle Aura. Zwei parallel längs verlaufende Achsen aus offenen schwarzen Sockeln, sieben quadratische auf der einen, sieben hohe Rechtecke auf der anderen Seite: Die einen tragen sieben Skulpturen als Stationen des Kreuzweges, über den anderen schweben, von der Decke an Fäden herabgelassen, Skulpturen in freien Formen, allesamt aus Edelstahl. Silbern glänzend vor dem Schwarz der Holzkonstruktion der Architektur und der organischen Linien der Öffnungen, durch die hindurch das Licht strömt und die Landschaft draußen sich in ihrer Schönheit zeigt. „Poetik des Raumes“ (3): Raum der Andacht, der Hingabe.
Die schwebenden Skulpturen
Vier neue Arbeiten für den Pavillon und drei, die es schon vorher gab: Sie wirken leicht und luftig, heiter und lebendig, durch den Atem oder den Windhauch bewegt. Es sind geometrische Grundformen, Kreis und Halbkreis, Quadrat, Rechteck, Dreieck, Spirale; Bögen, Winkel, Perforierungen, gewölbt, gekurvt, gefächert, überkreuzt, kantig spitz und gerundet, in Unregelmäßigkeit und Balance. Beziehungsmuster, wie in einer Konversation. Dreidimensionale Skizzen im Raum. In strenger Selbstkontrolle scheint alles Überflüssige weggelassen. Reduktion und Limitierung des Vokabulars, um in der Limitierung mit einer denkbar unendlichen Vielfalt der Formen und Kombinationen zu experimentieren. Jede Arbeit hat einen Namen, der im Sinne einer individuellen Mythologie von spezifischer Bedeutung für die Künstlerin ist, für den Betrachtenden eröffnet der Titel einen Raum freier Assoziation.
Stahl: Gabriela von Habsburg liebt das Material. Sie fasst es an, weiß es zu bearbeiten, zu biegen, zu bürsten, zu flexen, zu feilen, zu schweißen; sie beherrscht den Stoff und das Handwerk. Stahl bezeichnet alle metallischen Legierungen, deren Hauptbestandteil Eisen ist. Stahl ist hart, stabil, spröde, robust, funktional, Werkstoff des alltäglichen Lebens. In der Vorstellung eher männlich geprägt, industriell und nicht unbedingt einer weiblichen Ästhetik zugeordnet wie Wachs, Keramik, Gewebtes, Glas, Gold oder Silber. Aber die Künstlerin beseitigt solche Vorurteile schnell: Stahl sei sinnlich, organisch, haptisch. Sie mag den Geruch, den Klang, sie mag es, ihn anzufassen. Von mattem Grau bis blitzendem Silber, funkelnd in der Sonne, visuell vielseitig und faszinierend in seiner Eleganz. Nicht kalt. Geschmeidig. Nie Schrott. Von Dauer, unverändert, „edel“. Es bedarf keiner künstlichen Verbindungen. Stahl verschweißt sich mit sich selbst, verschmilzt zur Einheit und erlaubt so eine Präzision der Arbeit. Seine Oberfläche ist wie eine Leinwand. Im Prozess ihrer Bearbeitung mit der Maschine in alle Richtungen entsteht ein Bild: Körnungen, Reliefs und Strukturen wie Pinselstriche, sandgestrahlt, stumpf oder glänzend, reflektierend. „Eine spiegelpolierte Fläche ist fad“, sagt Gabriela von Habsburg. Und so lernt man hinzusehen und Skulptur und Malerei zu würdigen.
Ästhetisierung des Politischen
Reduktion und Intellektualität scheinen dem Material innezuwohnen, insbesondere im Minimalismus der sechziger und siebziger Jahre: Tony Smiths ikonischer schwarzer Stahlwürfel Die, Donald Judds serielle Reihung gleicher, klar geschnittener stereometrischer Körper, industriell aus Stahl gefertigte Kästen; die Stahlskulpturen von Frank Stella; Richard Serra hatte Platten aus Stahl zu Würfeln und Kartenhäusern gefügt und riesige Wellen aus Stahl wie Labyrinthe gebaut, Carl Andre Felder aus quadratischen oder rechteckigen Platten, Kante an Kante und vom Betrachtenden zu betreten; David Smith, Richard Decon, Joel Shapiro, aber auch Antony Gormely oder Tony Cragg mit seinen gedrehten, wirbelnden und taumelnden Säulen, Totem-ähnlich und zugleich futuristisch. Da ist eine Frau, wie die jetzt wiederentdeckte Künstlerin Beverly Pepper, 1922 in Brooklyn geboren, die seit über sechs Dekaden ihre Skulpturen aus Stahl entwickelt – klein bis monumental, in rötliches Braun des Rostes oxidierend, in Sammlungen wie der des Metropolitan Museum of Art in New York oder dem Centre George Pompidou in Paris –, eine Seltenheit. Gabriela von Habsburg knüpft mit ihren Arbeiten in Stahl an den Konstruktivismus an, der streng gegenstandslosen Stilrichtung in der Moderne mit ihrem einfachen geometrischen Formenvokabular. Bei Eduardo Paolozzi hat sie studiert und bei dem dänischen Künstler Robert Jacobson, der von 1962 bis 1981 an der Akademie in München lehrte, 1959 an der documenta 2 in Kassel teilnahm und 1966 mit dem „Großen Preis der Biennale Venedig für Plastik“ ausgezeichnet wurde, bekannt für seine gebauten, konstruktiven Arbeiten von klarer Tektonik, ineinander verwobenen Raumebenen, fragilen, beinahe zeichnerischen Elementen, die Schwere des Stahls auflösend. (4) Darin liegt das konstruktivistische Erbe in Gabriela von Habsburgs Werk: nicht von der Natur kommend, nicht vom Menschen, nicht von Gegenständen des Alltags. Mit der Hand gemacht. Ordnungen, kühl gesetzt, aus einem Prozess der Reflexion und der sorgfältigen Vorbereitung durch präzise Vorzeichnungen, als habe kluge Berechnung und Konstruktion das Spontane und Intuitive, Pathos und Emotion abgelöst. Aber gerade die Ordnung der Dinge – Proportion, Stabilität, Balance – war im 20. Jahrhundert mit transzendentaler Bedeutung aufgeladen. Und jener Ordnung kann auch eine narrative Qualität innewohnen. Von Habsburgs große Brunnenskulptur in Astana zum Beispiel, Horseshoe and Wheel (2007), erzählt die Geschichte Kasachstans im Bild des Hufeisens des Pferdes und des Rades.
Wer das Werk von Gabriela von Habsburg nicht kennt, möge sich vorstellen, dass es über die Intimität dieser kleinen Arbeiten im Gartenpavillon des Klosters hinaus monumentale Skulpturen im öffentlichen Raum gibt, in Deutschland, England und den USA, der Schweiz, in Österreich, Ungarn, Russland, Georgien, Kasachstan und anderen Ländern, „die erst in jüngster Zeit ihre Freiheit wiedergefunden haben“. (5) In der Kombination der geometrischen Formen den kleinen Arbeiten verwandt, aber repräsentativ, von politischer Dimension, aufgeladen mit Bedeutung im jeweiligen historischen und soziopolitischen Kontext von Ort und Landschaft. Es sind Mahnmale, Monumente der Erinnerung, der Materialisierung eines historischen Bewusstseins. Sie beziehen den Betrachtenden ein, wollen Kommunikation, Erkenntnis und ethisches Handeln.
Gabriela von Habsburg ist eine kosmopolitische Künstlerin, die vor dem Studium an der Akademie der bildenden Künste in München Philosophie studiert hat, die, geprägt auch durch die Geschichte ihrer Familie, eigenes politisches Engagement als Botschafterin übernommen hat und heute als Professorin an der „Visual Art and Design School, Free University of Tblisi“ in Georgien lehrt.
Stationen des Kreuzweges
Was sofort ins Auge fällt: Dass auch in deAbstraktion das Erzählerische enthalten ist. Obgleich die „Kreuzwegstationen“ eigentlich eine Auftragsarbeit sind für einen privaten, aber öffentlich zugänglichen Park mit alten Bäumen, in dem sie an verwunschenen Orten umgeben von Pflanzen zur Kontemplation einladen sollen, scheinen sie geradezu gemacht für den Pavillon im Kloster Beuerberg. Die Auswahl der sieben Skulpturen bezieht sich auf die folgenden Stationen der in den Evangelien erzählten Geschichte der Passion Jesu: Weinende Frauen. Zweiter Sturz. Schweißtuch der Veronika. Begegnung mit Maria. Beraubung der Kleider. Tod am Kreuz. Grablegung.
Gabriela von Habsburg kommt aus einer „sehr katholischen Familie“, wie sie sagt, und sie hat wie alle sieben Kinder einen positiven Zugang zur Religion erfahren. So ist ihr das Thema, die Leidensgeschichte Jesu, vertraut, wie die katholische Institution des Kreuzweges, die zurückgeht in die Spätantike, als die Jerusalempilger den Leidensweg Christi an den von den Evangelien verbürgten historischen Stätten zunächst durch Steine, dann durch Kapellen markierten und betend abschritten, und die sich dann im Abendland mit Bildern, Skulpturen und Kapellen etablierte. (6) Aber wie kann eine illustrative Darstellung jener Episoden gelingen im Medium einer abstrakten Formensprache? Den Kreuzweg zu erzählen, das ist eine Herausforderung für Gabriela von Habsburg, auch wenn sie schon einmal ein Kreuz geschaffen hat: für die Kirche St. Lukas in München im Jahr 2000, zehn Meter hoch, drei Tonnen Gewicht. „Das Kreuz wird überall da sichtbar, wo Material ist, aber eben auch dort, wo kein Material ist. Es beherrscht die materielle Welt und die immaterielle“. (7)
Mit dem Kreuz und den Kreuzwegstationen hat sie Teil an dem Diskurs zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche, der seit Beginn des neuen Jahrhunderts offenkundig eine Renaissance erlebt. (8) Das Kreuz als christliches Symbol von Tod und Auferstehung und als Projektionsfläche für Leid und Sterben, Angst, Verlassenheit, Hoffnung und Verzweiflung, wie Ausdruck der Liebe, der Erlösung und des Versprechens auf ein ewiges Leben, für Grenzerfahrungen jeder Art, hat Künstler wieder in ihren Bann gezogen, sei es im Medium Malerei, Skulptur, Photographie oder Video. Bedeutende Künstler der Gegenwart arbeiten wieder in den Kirchen: Sie erschaffen Fenster oder Altäre in ihrer spezifischen Bildsprache – ohne Berührungsangst, im Vertrauen nicht nur in ihre Ästhetik, sondern in die emotionale Wirkung und Unmittel- barkeit der Empfindung, den ihre Kunstwerke in diesem Verwendungszusammenhang, in diesem Resonanzraum, auszulösen vermögen. (8)
Die Passionsgeschichte ist eine Geschichte von Leid und Trost. In Gabriela von Habsburgs Verständnis und ihrer visuellen Sprache hat das Kreuz eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist es das „Kreuz“ Sinnbild der Last, das der Mensch trägt; zum anderen ist das Kreuz Jesus selbst, der Erlöser, auf seinem Leidensweg. Die beiden inhaltlichen Bedeutungen spiegeln sich in der Form: Da ist die massive, schwere, volle Seite des Zeichens und dort die körperlose, transparente. Die Zwischenräume sind wichtig, Licht und Schatten; die Auslassungen, durch die die positive und negative Form korrespondieren; die Hierarchisierung von Bedeutung in der Bearbeitung der Oberflächen. Die Stationen entstehen in einer seriellen Reihung, und doch ist jede anders; die Varianten scheinen sich wie von selbst zu entwickeln und die Geschichte zu erzählen, selbsterklärend: die Last des Kreuzes, der Körper, geneigt, gebeugt, im Fall, die schwebende Kreisform wie eine Dornenkrone, die körperhafte Schlaufe, in der das Licht reflektiert… Gabriela von Habsburgs reduziertes Vokabular setzt die Geschichte ins Bild, das Anthropomorphe, den menschlichen Körper. In der Imagination mögen sich die Assoziationen durch die vertrauten Darstellungen der abendländischen Malerei vervollständigen. Der Betrachtende mag seine eigenen Kreuzigungsszenen projizieren, die seine Empfindungen spiegeln und ihn in die Reflektion ziehen.
Herzlich danken möchte ich Gabriela von Habsburg für das schöne Gespräch im Kloster Beuerberg am 22. Februar 2019; Dr. Christoph Kürzeder, Direktor des Diözesanmuseums Freising, für die Einladung, und Pietro Tondello, dem Wissenschaftlichen Volontär des Museums, für seine Unterstützung.
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